Aktuelles aus dem Gleimhaus

Lesezirkel: Gleims Hüttchen Dichtung

Gleims „Hüttchen“ im Blick von Olaf Wegewitz ist Thema unserer derzeitigen Sonderausstellung. Nun nimmt sich auch der Lesezirkel am Mo., 14.7.2025 um 18.00 Uhr die Gedichtsammlung vor, die in den letzten 200 Jahren viel zu wenig gelesen wurde. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.

Olaf Wegewitz, Handzeichnung von Gleims Hüttchen, 2025

Textauswahl zum Lesezirkel:
 

Ich hab’ ein kleines Hüttchen nur,

Steht vest auf einer Wiesenflur,

Die Wiesenflur, ist groß, ist schön!

Willst mit in’s Hüttchen gehn?

 

Am Hüttchen klein, steht groß ein Baum,

Vor welchem siehst das Hüttchen kaum,

Schützt gegen Sonne, Kält’ und Wind,

All’ die darinnen sind!

 

Sitzt auf dem Baum ein Nachtigall

Singt auf dem Baum so süßen Schall,

Daß jeder, der vorüber geht,

Ihm horcht, und stille steht!

 

Fließt unterm Baume hell ein Bach

Schwatzt alles süß dem Vogel nach,

In diesem Hüttchen bin allein,

Mag’s länger nicht mehr seyn!

 

O du, mein Liebstes auf der Welt,

Das Hüttchen dir gewiß gefällt;

Bist zärtlich! Rauhe Winde wehn,

Willst mit in’s Hüttchen gehn?

 

(Hüttchen 1794, Nr. 3)


2

 

In meinem Hüttchen, lobesan,

Bin ich des Lebens froh!

Kein König, und kein Kaiser ist’s,

In seinem Pallast so!

 

Mein Hüttchen steht von Stolz und Neid

Und Plagegeistern fern

Und hat zu seiner Obrigkeit

Mich nur, und Gott den Herrn!

 

Mein Hüttchen steht am Emma-Bach

Auf einer Wiesenflur;

Wer drinn ist, den entzückt in ihm

Die Schönheit der Natur!

 

Der singt den Schöpfer, der so schön

Sie hat für ihn gemacht!

Der hört das Singevögel-Chor

Bei Tag, und auch bei Nacht!

 

Der ist geschützt vor Sturm und Wind

Und Sommersonnenschein!

Nur einen kleinen Fehler hat’s,

Ich bin in ihm allein!

 

Dem abzuhelfen hat’s mir noch

Bis heute nicht geglückt!

Wollt ihr das Hüttchen sehn? Da seht’s!

Louisa hat’s gestickt!

 

(Hüttchen 1794, Nr. 6)

 

3

 

Auf der Erde wären keine Freuden?

Ach! der arme Mann, der’s sagt!

Unausstehlich muss er leiden,

Weil er diese Klage klagt!

 

Kein Vergiß mein nicht, und keine Rose

Muß ihm blühn, dem armen Mann

Weil er diese wahrheitlose

Herzensklage klagen kann!

 

Komm’ er unter deine Pappelweiden

Hüttchen! und, er soll gestehn:

Auf der Erde sind noch Freuden!

Komm’ er nur, er soll’s gestehn!

 

(Hüttchen 1794, Nr. 31)


4

 

Wer in’s Hüttchen tritt,

Bringe Lust zu scherzen,

Bring’ in reinem Herzen

Bruderliebe mit!

 

Wer im Hüttchen ist,

Halte sich geborgen,

Vor Verfolg der Sorgen,

Und vor Hinterlist!

 

Wer’s verlässt, der sey

Mehr als er’s gewesen,

Froh, und auserlesen,

Ihm, und sich getreu!

 

(Hüttchen 1794, Nr. 93)

 

5

 

Von Gottes Gnaden, Wir, Bewohner kleiner Hütten,

Und Freunde guter alter Sitten,

Entbieten unsern schönsten Gruß

Den lieben, guten, kleinen Freuden,

Und geben ihnen unsern Kuß,

Und laden sie bescheiden

An unsern kleinen Schenktisch ein:

Wir wollen heut’ einmahl, bei unserm Schoppen Wein,

Mit euch, ihr lieben kleinen Freuden,

In Herzens-Andacht fröhlich seyn!

 

(Hüttchen 1813, Nr. 124)


6

 

Freue dich, denn dich zu freuen,

Menschenkind, ist dein Beruf!

Freue dich, du sollst dich freuen;

Das will der, der dich erschuf!

 

Zu des Schöpfers höchstem Ruhme

Blieb kein freudenleerer Raum;

„Freue, dich!“ ruft dir die Blume,

„Freue dich!“ ruft dir der Baum!

 

„Freue dich," singt dir die Lerche,

Singt’s in Lüften über dir!

Freude klappern mir die Störche,

Freude summt die Biene mir!

 

Freude fliegt in meiner Taube

Zu dem Tauber hin auf’s Dach;

Staubt in meinem Blumen-Staube,

Rinnt in meinem Emmabach.

 

Freude ruft dich! — Hör’, o höre,

Ruft dich in begrüntes Feld;

Ach! wenn nicht die Freude wäre,

Was denn wär’s in dieser Welt?

 

(Hüttchen 1813, Nr. 100)


7

 

An das Veilchen neben dem Hüttchen.

 

Das arme Veilchen! Sieh, o sieh!

Da lebt’s in todtem Mooß!

Kommst, armes Veilchen! kommst zu früh

Aus deiner Mutter Schooß!

 

Lebst Einen Morgen, jammerst mich;

Siehst weder Laub, noch Gras;

Mit seinem Fittig mordet dich

Der Mörder Boreas.

 

Stirbst, Veilchen! Liegst, ein wenig Staub!

Ein wenig Staub, auch wir,

So gut wie du, des Todes Raub,

Einst liegen, nahe dir.

 

Stirbst, Veilchen! duftest deinen Geist

In kalte Winterluft;

Bleibst Wesen, Veilchen! Wie es heißt?

Ob Monas oder Duft?

 

Ob’s höher aufgestiegen ist

In Schöpfers Angesicht?

Ob Engel oder Milbe bist?

Das, Veilchen, weiß ich nicht!

 

Weiß aber, daß in Schöpfers Hand,

Wohl aufgehoben, Laub

Und Ceder ist, und Meer und Land

Und Sonn’ und Sonnenstaub!

 

Deswegen wir mit nassem Blick

Nicht sehn in unser Grab:

Genug: wir gehn zu dem zurück,

Der uns das Leben gab.

 

(Hüttchen 1794, Nr. 29)


8

 

Aller kleinen Wiesenbäche

Liebster Gast, und schönste Zier,

Blümchen! sieh mich an! ich spreche

Wichtiges mit dir!

 

Lebst du? denkst du? Blümchen! sage:

Siehst auch du des Sonnenlichts

Welterleuchtung? Welche Frage!

„Was ist sehn? ich sehe nichts!

 

Zu genießen, mich zu tränken,

Setzte mich ein Gott hieher!

Lebst du? Denkst du? Leben! Denken!

Hüttenmann, was thust du mehr?“

 

(Hüttchen 1794, Nr. 56)


9

 

An ein kaum sichtbares Würmchen,

das mir auf’s Papier kam.

 

Du kleines Würmchen, nur zu sehen

Von scharfen Augen, was du bist

Möcht’ ich wol wissen; ach, dein Kriechen oder Gehen,

(Kaum kann ich sehen, was es ist)

Ist doch ein überlegtes Wandeln

In dieser Welt. Was willst du? — Willst du was? —

Bist du Pythagoras:

Kommst du, zu sehn mein Thun und Handeln?

Komm näher, Würmchen, komm

O du, du Würmchen! wohnt in dir

Ein guter Geist? — Was willst du hier?

„Dich fragen: Bist du fromm?“

 

(Hüttchen 1813, Nr. 82)

 

10

 

Ich glaube, daß kein Sandkorn sich

Erschaffen kann, und daß ich mich

Nicht selbst erschaffen habe;

Und daß, wer’s that, — durch seinen Ruf:

„Geh’ ein in’s Leben!“ — mich erschuf

Zum Himmel, nicht zum Grabe!

 

Das glaub’ ich! Christus, Sokrates

Und meine Väter glaubten es.

Ich lasse diesen Glauben,

Gestützt auf Herz und auf Verstand,

Nicht von Spinoza, nicht von Kant

Mir aus der Seele rauben!

 

Wer mir ihn rauben will, der Mann,

Der kommt mir vor wie ein Tyrann,

Mit Tatzen und mit Krallen.

Ich glaube kindlich, zweifle nicht,

Und mache mir zur höchsten Pflicht:

Dem Vater zu gefallen!

 

(Hüttchen 1813, Nr. 106)

 

11

 

Ich.

Wo bin ich, wo und was bin ich? -

Ich bin in Gottes Welt;

Ich bin ein Etwas, dem’s in ihr

So ziemlich noch gefällt!

 

Ein Etwas, welches über sich

Den schönen Himmel sieht,

Und unter sich die Erde, die

Voll schöner Blumen blüht!

 

Ein Etwas, welches fragt: Bin ich?

Und das antwortet: Ja!

Das weiter fragt: von wem bist du,

Warum nicht dort, nicht da?

 

Warum nicht mehr, nicht weniger,

Nicht Mond, nicht Sonnenlicht?

Nicht Gott? — Und horch, das Etwas sagt:

Das Alles weiß ich nicht!

 

Gott aber weiß es, und auf Gott,

Den Herrn von meinem Ich,

Sey’s, was es will, und wo und wie,

Auf Gott verlass’ ich mich!

 

(Hüttchen 1813, Nr. 89)

 

12

 

Im Hüttchen zankt man nicht!

Man sagte jüngst in ihm: Kant ist der größte Denker,

Nicht Aristoteles, und der, der ist ein Zänker,

Der dieser Meinung widerspricht.

Man hört es an, und schwieg. Im Hüttchen zankt man nicht.

 

Im Hüttchen zankt man nicht!

Was jeder Meiner meint, das läßt man jeden meinen,

Gott läßt die Sonn’ auch schön auf Dorn und Diestel scheinen!

Man läßt ins hohe Gottgericht

Die ärgste Meinung gehen. Im Hüttchen zankt man nicht!

 

Man zankt im Hüttchen nicht!

Es lebt im Ost, im West, im Norden, und im Süden,

Die ganze Menschenwelt einst tausend Jahr in Frieden,

Dann ists in allen Seelen licht!

Kann seyn! Kann seyn! Kann seyn! Im Hüttchen zankt man nicht! 

 

(Hüttchen 1794, Nr. 75)

 

13

 

An die Christen, meine Brüder.

 

Weil Alles Meinung ist, so lasst uns alle meinen:

Daß Einer wie der And’re irrt,

Und daß der Eine Gott, (wir glauben All’ an Einen)

Den Irrthum uns verzeihen wird.

 

Er, dieser Eine Gott, war Schöpfer uns’rer Seelen,

Und er schuf ihnen Fähigkeit

Zu denken über ihn, zu forschen und zu fehlen,

Doch nur für eine Spanne Zeit.

 

Nach ihr sehn wir ein Licht, und dieses Licht wird leuchten

Bis an der Wahrheit hellstes Licht,

Da wird uns alles hell, und seine Sünde beichten

Darf da der Mensch dem Menschen nicht!

 

Wir werden alle sehn, und uns der kleinsten schämen;

Gott aber, unser Schöpfer, wird

Unschuldig Irrenden die kleinste Strafe nehmen,

Wird sagen: „Du hast nur geirrt!“

 

 

(Hüttchen 1813, Nr. 73)


14

 

Der ist ein Patriot, der, wenn er Unverstandes

Und Stolzes bittre Klagen hört,

Die Klagen widerlegt, und seines Vaterlandes

Zufriedene vermehrt!

 

Der nicht, der in die lauten Klagen,

Von Unzufriednen vorgebracht,

Einstimmt, und Hagelschlag, und andre Landesplagen

Dem Fürsten zum Verbrechen macht!

 

Der ist ein freyer Mann, der unter dem Gesetze,

Wie unter Frühlingssonnenschein,

Hingeht zu seiner Pflicht, und daß Er sie verletze,

Sich fürchtet, und sich freut, ihm unterthan zu seyn!

 

Der ist ein Sclave, der von seinen Leidenschaften

Gebietender Monarch nicht ist!

Und der, wenn eine sich empört, sie zu verhaften

Nicht eilt, und Herr zu seyn von allen, oft vergißt.

 

 

                        (Hüttchen 1794, Nr. 83)

 

15

 

Frei seyn willst du, mein Sohn? Ich lobe deinen Willen!

Thu, was du kannst, getreu

Des Staats Gesetze zu erfüllen;

Sieh, dann so bist du frei!

 

Willst aber du, nach deinen Grillen,

Frei seyn, mein Sohn, so geh’ — in eine Wüstenei!

 

 

(Hüttchen, Nr. 1813, Nr. 61)

 

16

 

Auf Erden, sprach der Nachbar

Der lieber zählt, als spricht,

Auf Erden, ach! Auf Erden

Ist unsers Bleibens nicht!

 

Man muß die Gaben Gottes

Gebrauchen nur mit Maaß!

Sprach’s einst, als er im Hüttchen

Mir an der Seite saß!

 

Ich bin den weisen Sprüchen

Des Jesus Sirach hold,

Allein er gieng, und zählte

Sein Silber, und sein Gold!

 

Er hatte bei dem Zählen,

Ein finstres Gramgesicht!

Warum doch thun die Lehrer,

Nach ihren Lehren nicht?“

 

(Hüttchen 1794, Nr. 57)

 
 

17

 

An Uz

Um mich, du lieber Freund, laß keine Thräne fließen,

Wenn mich der Tod Dir nimmt;

Ich folg’ ihm, endlich dort der Ruhe zu genießen,

Hier nicht für mich bestimmt.

Ich folg’ ihm wahrlich gern in seine kühlen Schatten,

In welchen alle Matten

Und Müden er erquickt, und dann —

Ich gehe Dir ja nur voran!

 

(Hüttchen 1813, Nr. 78)


18

 

An meinen Tischler.

 

Macht meinen Sarg von Tannenbrettern,

Von euren dünnsten, Meister Dill,

Weil ich in Marmor nicht, gleich unsern Erdengöttern,

Zur Erde wieder werden will!

Man liegt in ihm zu lange still,

Ist guter Samen nicht, in Erden

Des guten Säemanns, ist’s in unfruchtbarem Stein:

Ich will, so bald ich kann, zur Erde wieder werden,

Um nützlich wieder bald zu seyn!

 

                                   (Hüttchen 1813, Nr. 152)

 

19

 

An den Tod.

 

Gescherzt hab’ ich mit dir, nun aber, lieber Tod,

Scherz’ ich nicht mehr mit dir, nun bitt’ ich dich, die Noth,

Die dieser Staub um mich in diesem ersten Leben

Mir macht, zu endigen, und Ruhe mir zu geben,

Wenn Gott der Herr nicht will, daß ich noch dulden soll!

Geduld hab’ ich gehabt, verdient hab’ ich sie wohl!