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Fabeln von Gleim

Der Hirsch, der sich im Wasser sieht.

Ein Hirsch bewunderte sein prächtiges Geweyh
Im Spiegel einer klaren Quelle.
Wie schön steht es, sprach er, recht auf derselben Stelle,
Wo Königs Cronen stehn, und wie so stolz! So frey!
Vollkommen ist mein ganzer Leib, allein
Die Beine sind es nicht, die sollten stärker seyn.

Indem er sie besieht, mit ernstlichen Gesicht,
Hört er im nahmen Busch ein Jägerhorn erschallen,
Merkt auf, sieht eine Jagd von dem Gebürge fallen,
Erschrikkt, und flieht davon. Nun aber hilft ihn nicht,
Sein Cronentragend Haupt dem nahen Tod’ entfliehn,
Nicht sein vollkommner Leib, die Flüsse retten ihn.
Sie reissen, wie ein Pfeil, die prächtige Gestalt
Mit sich durch flaches Feld, und fliegen in den Wald.

Da aber halten ihn im Vogelschnellen Lauf,
An starken Zweigen oft die vierzehn Enden auf.
Er reißt sich los, er flucht darauf
Lobt seine Beine nun, und lernet noch im Fliehn
Das Nützliche dem Schönen vorzuziehn!

Der Elephant und die Maus

Ein Elephant und eine Maus
Besprachen sich von ihrer Grösse.
Ha! sprach der Elephant, ich messe
Dich ja so leicht, mit meinem Rüssel, aus!

Und ich, antwortete die Maus,
Hab´ einen kleinen Zahn, und fresse
Mich ja so leicht in eines Königs Haus:
Die Größe macht es oft nicht aus!

Der Habicht. Die Störche.

Ein Habicht stieß auf eine Lerche
Im Angesichte zweener Störche:
Und hurtig rupft und speist er sie.

Ach, sprach ein Storch, die arme Lerche die!
Vorhin sang ich so artig noch.

Storch, sprach der Habicht, spare doch
Die Seufzer nur! – Den du verzehrt,
Der arme Frosch, der ist beklagenswerth,
Vorhin quackt er so artig noch!

Der alte Esel

Ein alter Esel ging,
belastet mit dem Mehle
Des Müllers, seines Herrn,
starrfüßig nach der Stadt,
Empfindend,
daß es ihm an Jugendkräften fehle;
Sein Herr ging hinter ihm!
„Ich bin, schrie er, zu matt.
Gebt mir ein wenig Mehl zu Stärkung!“
Derbe Schläge
Gab ihm sein strenger Herr!
Der allzuschweren Last
Erlag das arme Thier,
und starb auf halben Wege!

Wie mit dem Esel hier der Müller, also fast
Macht´s unser Junker mit dem Bauer!
Er sieht´s Die Arbeit wird de alten
Dienstmann sauer,
Er mindert ihm die Arbeit nicht;
Er denkt an keine Menschenpflicht!

 

Die Sperlinge

Man flickte – war´s zu Straßburg, oder Rom?
Ich weiß es nicht – an einem Dom,
Und jagte Mutter, Brüder, Schwestern
Des Sperlings-Volks aus ihren Nestern;
Und, als die Flickerei zu Ende war,
Da kam, bei Tausenden, die Schaar
Der Flüchtigen zurück geflogen;
Und freudig hätte jedes Paar
Sein Nestchen wieder gern bezogen;
Allein man sah betrübt, daß keins gelassen war.
Und: Gott! was hat sie doch bewogen,
Erseufzte da, mit tiefem Ach,
Ein alter Sperling auf dem Dach:
Uns unsre Wohnungen so grausam zu zerstören?
Was Bösers konnten sie nicht thun;
Als wenn die hohen Mauern nun
Zu etwas nütze wären!

Der Löwe. Der Fuchs.

Herr Löwe, sprach ein Fuchs, ich muß
Es dir nur sagen, mein Verdruß
Hat sonst kein Ende.

Der Esel spricht von dir nicht gut;
Er sagt: was ich an dir zu loben fände;
Das wüst er nicht; Dein Heldenmuth
Sey zweifelhaft; auch gäbst du keine Proben
Von Großmuth und Gerechtigkeit;
Du würgetest ohn Unterschied;
Er könne dich nicht loben.

Ein Weilchen schwieg der Löwe still;
Dann sprach er: Fuchs, er spreche was er will;
Denn, was von mir ein Esel spricht,
Das acht ich nicht!

Der Kater und die Katze

Ein Kater ging auf´s Mausen aus;
Fand aber nirgend eine Maus
Sein Weib, die Katze, kam.
Der Kater sprach: Ihr Lieben,
Wo sind die Mäuse denn geblieben?

Die Mäuse, sprach die Katze, haben wir,
Aus unserm großen Jagd-Revier,
Mit unsrer Mord-Lust ja vertrieben,
Vertrieben und verzehrt.
Das ganze Mäuse-Volk, fürcht´ ich,
ist aufgerieben!

Ob diese Fabel wol was lehrt?